Hamlet
Regisseurin Ines Baumer hat ein untrügliches Gespür für starke Momente in den Inszenierungen mit ihrer English Drama Group. Der Anfang des auf die Bühne im großen Musiksaal gebrachten Stücks „Hamlet“ von William Shakespeare gehört dazu. Der Besucher betritt den Aufführungsraum und ist gleich mitten drin im Geschehen auf dem Schloss in Helsingör: Weiß bemalte Kulissenelemente, weiße Säulen, weiße Stühle, leere Bühne. Rechts und links in Schwarz gekleidete Wachen mit weiß geschminkten Gesichtern, ruhig, wach und konzentriert ihr Blick, die Lanzen einsatzbereit in der Hand. Aus den Lautsprechern ertönt das Intro der US-amerikanischen Fantasy-Fernsehserie „Game of Thrones“, während die Personen des Stücks von hinten rechts und links einziehen und sich vorn in der Mitte der Bühne zu einem Gruppenbild formieren. Einen Augenblick lang erstirbt jegliche Bewegung: geballte Energie, die sich in den nächsten 60 Minuten kraftvoll entfesseln wird. Die Botschaft ist klar: Die Geschichte um Hamlet stammt zwar aus dem frühen Mittelalter, doch sind Themen wie Eifersucht und Rache auch heute noch aktuell.
Wohl überlegte Symbolfarben der Kostüme helfen bei der Zuordnung der Personen: Rot in dem Gewand von König Claudius, dem Mörder und unrechtmäßigen Nachfolger von Hamlets Vater, und Rot in dem Kleid von Gertrude, Hamlets Mutter, die Claudius allzu schnell nach dem Tod seines Bruders geehelicht hat. Grün die Gewänder von Oberkämmerer Polonius und seinen beiden Kindern Laertes und Ophelia. Blau die Gewänder der beiden Schauspieler der Theatergruppe, deren Aufführung des Stücks „Die Ermordung des Gonzago“ Claudius aufgebracht verlässt, da er sich durch die von Hamlet nachträglich eingefügten Anspielungen entlarvt sieht. Eine Besonderheit auch die aus Tetrapack recycelte Krone und das ebenfalls recycelte Mieder Gertrudes, welche die Lust der Regisseurin, auch mit Material zu experimentieren, widerspiegeln. Schwarz die Kostüme von Hamlet, seinen Jugendfreunden Rosenkranz und Güldenstern sowie des Geistes, der Hamlet die Wahrheit über den Tod seines Vaters verrät.
Das Stück lebt von der Spielfreude aller Schauspielerinnen und Schauspieler, die sich der englischen Sprache souverän bedienen und dabei die ganze Bandbreite von Angst, Wut, Hinterlist, Liebe und Wahnsinn überzeugend zum Ausdruck bringen. Ein Paukist erzeugt live durch weiche und harte, langsame und schnelle Schläge Klangbilder, die das Geschehen auf der Bühne dramatisch untermalen und dem Besucher wiederholt einen Schauer über den Rücken jagen.
Dass die Theatergruppe bis in die kleinste Nebenrolle hinein so brilliert, ist keine Selbstverständlichkeit. Das überaus sehenswerte Ergebnis - unterstützt durch das Make-up Team unter der Leitung von Karolina Schmidtner und durch die Dom-Technik unter der Leitung von Luis Hauptmann - verdankt sich intensiver Probenarbeit, einer großartigen Bühnendisziplin und der Bereitschaft, sich als neue und langjährige Mitglieder der English Drama Group gemeinsam auf ein Stück einzulassen, das zu den Klassikern der Weltliteratur zählt. Herzlichen Glückwunsch zu drei gelungenen Aufführungen!